Schriftliche Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts erschienen

Nach dem Urteil des  Bundesverwaltungsgerichts  (BVerwG) vom 5. Juli 2022 ist im Verfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss für die 380kV-Freileitung nun die schriftlichen Urteilsbegründung ergangen. Mit dem Urteil ist der Rechtsweg erschöpft.

Die Bürgerinitiative Biosphäre unter Strom – keine Freileitung durchs Reservat hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 5. Juli 2022 unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf der Basis der mündlichen Urteilsbegründung als „skandalöses Fehlurteilcharakterisiert und eine Kritik der schriftlichen Urteilsbegründung angekündigt.

„Die Urteilsbegründung ist durch Missgunst gegenüber der Klägerseite geprägt“

Am 13. Oktober 2022 ist unserem Anwalt nun die schriftliche Urteilsbegründung zugegangen. Es gibt danach für uns keinen Grund, unsere Stellungnahme zu modifizieren.

Die schriftliche Urteilsbegründung ist durch Missgunst gegenüber der Klägerseite geprägt. Das beginnt bei der Beurteilung der nachgewiesenen Verfahrensmängel, die zwar vom Gericht zugestanden werden müssen, aber als unerheblich abgetan werden, denn sie seien nicht ergebnisrelevant. Und es setzt sich auch bei der inhaltlichen Auseinandersetzung fort.

So wird die Beanstandung unseres Anwalts, wegen der verspäteten Zustellung des Verwaltungsvorgangs sechs Wochen nach Klageerhebung habe effektiv nur eine Frist von vier Wochen für die Klagebegründung bestanden, damit abgetan, es sei nicht dargelegt worden, „an welchem Vortrag er dadurch gehindert gewesen sein könnte“ (Rdnr. 13).

Für unerheblich werden Defizite bei der öffentlichen Auslegung der Umweltverträglichkeitsstudie II (im Internetportal) abgetan (Rdnr. 15), wie auch die Beanstandungen wegen zu kurz angesetzter Fristen (14 Tage) für Stellungnahmen in verschiedenen Beteiligungsverfahren oder der Terminierung eines Beteiligungsverfahren während der Schulferien 2019 (Rdnr.17-21).

Alle diese Beanstandungen wurden als unerheblich oder gar als unbegründet abgetan, denn eine Frist von 14 Tagen für eine Stellungnahme sei ausreichend.

„Beweisanträge als unerheblich vom Tisch gewischt“

Gravierender aber ist der Umgang des Gerichts mit den eingereichten umfangreichen Unterlagen und den Einwänden der Klägerseite gegen den Planergänzungsbeschluss der Genehmigungsbehörde.

Da wird mit Unterstellungen und der wiederholten Behauptung gearbeitet, die vorgebrachten Einwände gegen den Nachweis der Unerheblichkeit der Beeinträchtigungen seien nicht substantiiert (Rdnr. 32, 41, 70, 101).

Da wird dem Kläger unterstellt, er gehe davon aus, dass ein „Nullrisiko“ (Rdnr. 33) für den Leitungsanflug nachgewiesen werden müsse, wenn auf die Beweislast hingewiesen wird. Es ist nämlich Aufgabe des Vorhabenträgers den Nachweis anzutreten, dass von seinem Vorhaben „keine erhebliche Beeinträchtigung“ der Schutzziele ausgehe. Darauf hat der Anwalt der Klägerseite immer wieder hingewiesen. 

Das Gericht legt daraufhin der Klägerseite zur Last, nicht substantiiert vorgetragen zu haben, wenn es die Methode zur Erfassung der Vogelbestände in einem Schutzgebiet und der Vogelbewegungen in Zweifel zieht.

Das Gericht wischt in seiner schriftlichen Urteilsbegründung alle Einwände und gestellten Beweisanträge als unerheblich vom Tisch, egal ob es um die Frage der Beurteilung der beiden Brutgebiete Landiner Haussee oder Felchowsee als faktischem Brutgebiet, um die Frage der Erfassung der wirklichen Gefährdung von Vögeln durch Leitungsanflug, den Wirkungsgrad von Vogelmarkern an Freileitungen oder die Barrierewirkung von nicht synchronisierten Leitungssystemen geht.

Dabei wird selbst mit der Arithmetik Schlitten gefahren, wenn das Gericht mit Blick auf die Parallelführung der 110kV- und der 380kV-Freileitung bei Landin ausführt:  „Die Masthöhen betragen 49,25 m (Mast 116), 55,20 m (Mast 117) und 50,20 m (Mast 118), bei der Bestandsleitung 42,25 m (Mast 34) und 36,25 m (Mast 35). Während die Masten 116 und 118 räumlich etwa im Gleichschritt mit Mast 34 und 35 errichtet werden, ist Mast 117 etwa mittig zwischen den Masten der Bestandsleitung platziert.“ (Rdnr. 79) 

„ Zu einer Reduzierung des Vogelschlagrisikos trägt eine Synchronisierung der Leitungen und der Masten bei, an der es für Mast 117 und den Leiterseilen im Luftraum fehlt.“ (Rdnr. 81)

„Trotz der Position von Mast 117 erweist sich die Einschätzung der Konfliktträchtigkeit als „mittel“ als tragfähig: So sind die Masthöhen jedenfalls angenähert, wenn auch nicht identisch. (Rdnr.82) (Hervorhebung H.L.)

Der Mast 117 der 380 kV-Freileitung überragt mit 55, 2 m die beiden Masten der Bestandleitung um 18,95 m bzw. um 12.95 m. Wie man hier von einer Annäherung der Höhen sprechen kann, bleibt das Geheimnis des Gerichts.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auch in den anderen Fragen, der Zulässigkeit der Erdverkabelung im Rahmen einer Abweichungsprüfung oder bezüglich der Tangierung von Unionsrecht das Gericht immer zu einer Ablehnung der Anträge des Klägers kommt.

Im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) wurde festgelegt, dass beim Rechtsstreit über die Leitungsbauvorhaben, die im Anhang des Gesetzes aufgelistet sind, das Bundesverwaltungsgericht erste und letzte Instanz ist. Es gibt keine Revisions- oder Berufungsinstanz. Es gibt nur ein Rügeverfahren, bei dem aber der Senat, dessen Verhalten kritisiert wird, über diese Rüge entscheidet.

Der Rechtsweg ist erschöpft und das Fehlurteil ist Teil der künftigen Rechtsprechung in ähnlich gelagerten Verfahren.

Bei der Diskussion des EnLAG haben  Kritiker darauf hingewiesen , dass die Beschneidung des Rechtswegs (an Stelle des dreistufigen Verwaltungsgerichtsverfahrens tritt das BVerwG als einzige Instanz auf) rechtspolitisch und rechtsstaatlich äußerst fragwürdig ist. Das kann man an dieser Entscheidung gut erkennen.

Senftenhütte, 15.10.2022
Hartmut Lindner
Sprecher der Bürgerinitiative

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