Jahresrückblick 2022

Dieses Jahr waren unsere Aktivitäten ganz durch den Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht  (BVerwG) geprägt

Am 15. März 2022 endete die Frist für die Erwiderung auf Stellungnahmen.

Die mündliche Verhandlung wurde auf den 21. Juni 2022 terminiert. Wir hatten also genügend Zeit, um unsere Präsenz bei der Verhandlung und eine Bahn-Gruppenreise zu organisieren. Die Fahrt nach Leipzig und auch die mündliche Verhandlung vor dem BVerwG fanden unter Coronabedingungen (Maskenpflicht) statt.

Ergebnis des Petitionsverfahrens vor dem Bundestag: kein Handlungsbedarf

Am 27. Mai 2022 ist der Beschluss des Bundestags vom 12. Mai 2022 zu unserer Petition vom 16. Oktober 2018 (!) beim Sprecher der Bürgerinitiative  eingegangen, eine enttäuschende Antwort.

In der Petition hatten wir den Bundestag gebeten, das Leitungsausbauvorhaben Nr. 3 im Anhang des Energieleitungsausbaugesetz (EnLag) – also die 380kV-Freileitung von Bertikow nach Neuenhagen – in den Katalog der Erdkabelprojekte aufzunehmen.

Der Petitionsausschuss hatte die Bundesregierung um eine Stellungnahme gebeten, der er sich anschloss, ohne die Argumente abzuwägen.

Die Bundesregierung – das ist der Darstellung zu entnehmen – reproduzierte die Darstellung des Netzbetreibers, wonach von der Leitung keine Gefahr für die Vögel in den betroffenen Schutzgebieten ausgehe und eine Fülle von Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen seitens des Vorhabenträgers zur Kompensation beitrügen (Vogelschutzmarker u.a. auch im Havelland und an einer 110kV-Freileitung, Erdverkabelung von 3 Mittelspannungsleitungen und der Rückbau der 220kV-Bestandsleitung).

Wir kennen diese Argumentation.

Unsere Forderung wurde seitens der Bundesregierung auch deshalb abgelehnt, weil das Verfahren bereits weit fortgeschritten sei und die Ausweisung der Leitung als Erdkabelpilotprojekt zu einer „erheblichen Verzögerung des Projekts führen“ würde. 

Es wurde konstatiert, dass Erdkabel im Höchstspannungsbereich „nicht dem Stand der Technik“ entsprächen.

Die Aufnahme in den Katalog der Pilotprojekte eröffne zudem nur die Möglichkeit einer Prüfung der Erdverkabelung, während eine Erdverkabelung zu neuen Betroffenheiten (mit neuen Prozessrisiken) führen würde.

Fazit des Ausschusses: „Vor diesem Hintergrund“ ist kein Handlungsbedarf erkennbar. Das Petitionsverfahren ist „abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden kann.“

Wenn man berücksichtigt, wie lange der Ausschuss benötigt hat, um dieses Ergebnis zu formulieren, beschleichen einen schon Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Petitionsrechts. Dass sich der Petititionsausschuss die Sichtweise der Bundesregierung zu eigen macht, ohne auf unsere Argumente einzugehen, ist schon befremdlich.

Mit der Aufnahme des Leitungsbauvorhabens 380kV-Freileitung von Bertikow nach Neuenhagen als Nr. 3 in den Anhang des EnLAG , obwohl das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens besagte, dass dieses Leitung nur „bedingt genehmigungsfähig“ sei, hat der Bundestag fahrlässig gehandelt, denn dadurch wurde die Leitung als „beschleunigt“ zu realisieren charakterisiert.

Zu dieser Fahrlässigkeit im Gesetzgebungsverfahren kommt nun noch eine einseitige Stellungnahme im Petitionsverfahren. Ein enttäuschendes Ergebnis. Das wurde dem Petitionsausschuss auch mitgeteilt.

Zur mündlichen Verhandlung vor dem BVerwG am 21.6.2022

Die Fragestellungen des Rechtsstreits

In Ihren ausführlichen Stellungnahme hat die Kanzlei Philipp Heinz, gestützt auf die Zuarbeiten von unseren Experten, noch einmal deutlich herausgearbeitet, dass der Planergänzungsbeschluss vom Herbst 2020 rechtswidrig ist.

Die Gegenseite, 50 Hertz und das Landesbergamt, haben zwei große Kanzleien mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, die sehr umfangreiche Schriftsätze, mehrere hundert Seiten, zur Abwehr der Klage des Nabu Brandenburg vorgelegt haben.

Unsere Experten haben aber aus dem Wust der gegnerischen Stellungnahmen die Punkte herausgegriffen, die gut fundiert widerlegt werden können.

Im Zentrum steht nach wie vor die Fragestellung, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele in den betroffenen europäischen Vogelschutzgebieten trotz der Errichtung der 380kV-Freileitung ausgeschlossen werden kann. Dass dies nicht gegeben ist, zeigen unsere Experten exemplarisch am Wasservögelbrutgebiet Landiner Haussee – Felchowsee, das durch die geplante Trasse gequert würde.

Neben der Frage, ob es Austauschbeziehungen zwischen den Vogelbeständen im Felchow- bzw. Landiner Haussee gebe, spielt auch die Frage der Wirksamkeit der Vogelschutzmarker bei Nacht und in Nebellagen eine große Rolle.

Am Ende geht es um die Einschätzung der Risiken für drei gefährdete Arten, die Rohrdommel, die Zwergdommel und das Kleine Sumpfhuhn.

Dabei insistiert unsere Seite darauf, dass der Auftrag des Gesetzgebers, dass für eine Genehmigung des Vorhabens in einem Schutzgebiet der Nachweis geliefert werden muss, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele auszuschließen ist, eingehalten wird. Die Beweislast liegt also beim Vorhabenträger bzw. der Genehmigungsbehörde und nicht beim Kläger. Die Gegenseite argumentiert gerne, dass es keine Beweise für die erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele gebe.    

Umstritten ist auch die Anwendung des vom Bundesamt für Naturschutz vorgelegten Fachkonventionsvorschlags aus dem Jahr 2019 zur Wirksamkeit von Vogelschutzmarkern. Kann man diesen Konventionsvorschlag schematisch anwenden, oder ist doch eine genaue Prüfung des Einzelfalls erforderlich?

Auch die Frage, ob die technische Variante der Erdverkabelung bei der Abweichungsprüfung einer eingehenden Prüfung bedarf, wird wieder eine Rolle spielen. Immerhin hat die Genehmigungsbehörde im Planergänzungsbeschluss bei zwei europäischen Vogelschutzgebieten festgestellt, dass die geplante Leitung gegen das Naturschutzgesetz verstößt, aber im Zuge einer Abweichungsprüfung mit Blick auf die gesetzlich festgestellte „Notwendigkeit der Leitung“ eine Genehmigung erteilt.

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofe von 28. Oktober 2021 zur Anwendung der Artenschutzrichtlinie ist für diesen Rechtsstreit auch relevant und eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, den Streit möglicherweise dem EuGH vorzulegen.

All diese Fragen sind sehr speziell und eher Gegenstand für eine Expertendiskussion. Sie sind einer breiteren Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar, aber für den Ausgang des Klageverfahrens entscheidend.

Eine erstaunliche Engführung im Zuge des Rechtstreits

Wenn man bedenkt, dass unsere Bürgerinitiative all die Jahre auf die vielfältigen Risiken, die die Errichtung einer 380kV-Freileitung in der Nähe von Wohngebieten oder bei der Querung von Schutzgebieten mit sich bringt, es handelt sich um gesundheitliche, wirtschaftliche und ökologische Risiken, die weitgehend vom Gericht ausgeklammert wurden, dann muss man von einer erstaunlichen Engführung im Zuge des Gerichtsverfahrens sprechen.

Polemisch zugespitzt sprechen die Kritiker des Verfahrens davon, dass drei seltene Vogelarten im Rechtsstreit wichtiger sind als die Menschen, die unter der Freileitung zu leiden haben werden, sei es, dass sie den elektrischen und magnetischen Feldern einer 380kV Freileitung ausgesetzt sind, dass sie unter den wirtschaftlichen Konsequenzen, zum Beispiel dem Wertverlust ihrer Immobilien in Trassennähe oder unter dem Verlust von Erholungsflächen wegen der Zerstörung des Landschaftsbildes durch die großtechnische Überprägung u.a. zu leiden haben. Von den wirtschaftlichen Konsequenzen ganz zu schweigen.

Wir haben die mündliche Verhandlung am 21. Juni 2022 in Leipzig aufmerksam verfolgt und festgestellt, dass die Vorsitzende einen Fragenkomplex nach dem anderen „abgearbeitet“ hat, indem sie die Positionen von Kläger und LBGR bzw. 50 Hertz zu Wort kommen ließ. Die Prozessführung der Vorsitzenden ließ nicht erkennen, in welche Richtung der Senat tendiert. Fragen wurden kaum gestellt, sondern die einzelnen Punkt nur aufgerufen.

Eine Prognose über den Prozessausgang konnte auf dieser Basis nicht gestellt werden.

Unser Anwalt hat gegen Ende der Verhandlung eine Reihe von Beweisanträgen gestellt und unter anderem auch die Frage aufgeworfen, ob nicht EU-Recht durch das EnLAG  verletzt werde, indem die Abweichungsentscheidung in den beiden europäischen Vogelschutzgebieten mit dem EnLAG begründet werde (Ablehnung der teilweisen Erdverkabelung).

Ein skandalöses Fehlurteil

Am 5. Juli 2022 verkündete die Vorsitzende Richterin des 4. Senats das Urteil: Die Klage des Nabu-Brandenburg und alle Beweisanträge unseres Anwalts wurden abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufgetragen.

Diese Urteil ist eine skandalöse Fehlentscheidung, gegen die aber keine Rechtsmittel eingelegt werden können, denn im EnLAG wurde festgelegt, dass das BVerwG als erste und letzte Instanz über  Rechtsstreitigkeiten von EnLAG-Projekten entscheidet. Wir müssen dieses Urteil hinnehmen.

Es bleibt nur die Möglichkeit einer Beschwerde bei der EU-Kommission. Wir werden diesen Weg beschreiten, wissen aber, dass dadurch die Errichtung der Leitung nicht verhindert werden wird.

Uns hat das Urteil vor allem deshalb überrascht, weil wir mit einem völligen Scheitern nicht gerechnet hatten, denn wir hatten im Vorfeld der Verhandlung gut gepunktet. Im Rechtsschutzverfahren hatten wir einen Baustopp für 2/3 der Trasse erwirkt und das Gericht hatte erklärt, dass über die komplizierten Fragen, die unsere Klage aufwirft, nur in einer Hauptverhandlung und nicht im summarischen Verfahren entschieden werden könne.

Die schriftlichen Urteilsbegründung ist in allen Teilen durch Missgunst gegenüber der Klägerseite geprägt. Es ist ein skandalöses Fehlurteil, das nicht nur uns hart trifft, sondern auch für künftige Verfahren die Maßstäbe setzt.

Über die Frage inwiefern die durch den Krieg in der Ukraine verschärfte Energiekrise den 4. Senat bei der Urteilsfindung beeinflusst hat, kann nur spekuliert werden. Es ist aber auffällig, dass alle für uns positiven Entscheidungen des 4. Senats im Jahr 2021, also vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der aktuellen Energiekrise getroffen wurden. Eine ausführliche Kritik der schriftlichen Urteilsbegründung ist hier zu lesen.

Nach dem Urteil

Mit dem Urteil stellt sich die Frage nach der Zukunft der Arbeit der Bürgerinitiative, die auf der kommenden Mitgliederversammlung entschieden wird.

Zwei Aktionsfelder sind erkennbar, zunächst einmal gilt es die Prozesskosten, die dem Kläger aufgebürdet wurden zu stemmen bzw. unangemessene Forderungen wirksam zurückzuweisen. So machte das Landesbergamt uns gegenüber 30.000 Euro für Gutachterkosten geltend, eine Forderung, die uns schon etwas beunruhigte, denn sie übersteigt unsere Möglichkeiten bei weitem. Unserem Anwalt gelang es aber, das Gericht davon zu überzeugen, dass diese Forderung unbegründet war und die Gutachterkosten nicht für den Rechtsstreit, sondern im Genehmigungsverfahren angefallen waren. Die Forderungen, die 50 Hertz uns gegenüber geltend machen möchte, sind noch nicht bekannt. Sie werden erheblich sein.

Deshalb kann auch noch nicht über die Verwendung der Spendengelder, die vor dem Prozess gesammelt wurden, Rechenschaft abgelegt werden.

50 Hertz hat auf weiten Strecken der Trasse mit dem Holzeinschlag begonnen, um Baufreiheit für das Frühjahr zu schaffen. Die Überwachung der Einhaltung der Baubeschränkungen in der Brutzeit in den Schutzgebieten wird eine Aufgabe sein, die von der Bürgerinitiative allein nicht zu schaffen ist, hier kann die BI aber als Sammelpunkt für Informationen, die an die Aufsichtsbehörden weitergeben werden, dienen.

Ein anderes Thema, das durch die Bürger an uns herangetragen wird, ist die drohende Beeinträchtigung durch Schwerlasttransporte im Zuge der Baumaßnahmen. Hier sind die Gemeinden gefordert, ein scharfes Auge auf die Einhaltung der Vorschriften zu haben und eine Beschädigung der Bausubstanz der Straßen und Gebäude im Zuge der Baumaßnahmen für die 380kV-Freileitung zu verhindern.    

Mit diesem Ausblick schließe ich den Jahresrückblick 2022 auf ein Jahr, in dem wir ganz unerwartet eine herbe Niederlage durch ein skandalöses Fehlurteil des Bundesverwaltungsgerichts hinnehmen mussten.

Hartmut Lindner, BI-Sprecher

31.12.2022 

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