Altmaiers Dilemma – Bürgerdialog zum Netzausbau

Der Netzausbau ist eine Schnecke – ein Blick auf das EnLAG-Monitoring anlässlich einer Veranstaltung am 30. November im Bundeswirtschaftsministerium

Als das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) 2009 von der Großen Koalition gegen die Stimmen der Bündnisgrünen und der Linkspartei beschlossen wurde, erhofften sich die Initiatoren eine rasche Umsetzung der Leitungsausbauvorhaben.

Immerhin hatte man für 24 Trassenprojekte den energietechnischen Bedarf gesetzlich festgestellt und den Rechtsweg für potentielle Kläger beschnitten.

An die Stelle des üblichen dreizügigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war das einzügige Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht getreten, das als erste und letzte Instanz über die Streitfälle zu entscheiden hat. An die Stelle langwieriger juristischer Auseinandersetzungen sollte also die rasche und unanfechtbare Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts treten. Rechtspolitisch ist diese Festlegung des Gesetzgebers äußerst fragwürdig und umstritten.

Um dem Freileitungsprotest, der damals in Niedersachsen schon sehr stark war, entgegenzukommen, wurden drei der vier Pilotprojekte zur Erprobung von Erdkabeln in Niedersachsen festgeschrieben. Das vierte Projekt – die Querung des Rennsteigs – erwies sich als undurchführbar, was niemanden, der sich mit der Materie auskannte, überrascht hat. Dieser Vorschlag war nur Spielmaterial zur Beruhigung der schlechten Gewissen der Abgeordneten, weshalb ihm auch 50 Hertz zugestimmt hat.

Die Initiative des Landes Brandenburg, die die BI angeregt hatte, das Leitungsbauvorhaben Bertikow-Neuenhagen in den Katalog der Pilotprojekte aufzunehmen, ist seinerzeit im Bundesrat gescheitert.

Die Bundesnetzagentur legt seit einigen Jahren Quartalsberichte über den Fortschritt der EnLAG-Projekte vor.

Neun Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes ergibt sich folgendes Bild:

Zwei Leitungsbauvorhahen wurden auf Antrag der Netzbetreiber im Einvernehmen mit der Bundesnetzagentur als nicht erforderlich aus dem Katalog gestrichen.

Von den rund 1800 Kilometern des geplanten Netzausbaus sind 800 Kilometer, also nicht einmal die Hälfte des angeblichen Bedarfs, realisiert. Für Projekte von weiteren 400 Kilometer Länge liegt die Genehmigung vor, 550 Kilometer sind in Planung bzw. im Planfeststellungsverfahren und für 50 Kilometer ist das Raumordnungsverfahren noch nicht abgeschlossen.

Von den vier Pilotvorhaben zur Erprobung der Technik der Erdkabel ist nicht ein einziges realisiert. Erst 2018 ging der erste Teilabschnitt für eine Pilotstrecke bei Raesfeld (Niederrhein) in den Probebetrieb.

Die Vernachlässigung der Pilotprojekte zur Erdverkabelung legt den Verdacht nahe, dass es den Initiatoren des Gesetzes weniger um die Erprobung von Erdkabeln gegangen ist und geht, als vielmehr um die Aushebelung des niedersächsischen Erdkabelgesetzes, das den Netzbetreibern von Anfang an ein Dorn im Auge war. Bundesrecht bricht Landesrecht!

Wenn man das Tempo des Netzausbaus des letzten Quartals (23 Kilometer) fortschreibt dann wird die Realisierung noch vier Jahre bis zum Jahr 2022 dauern.

Die Netzbetreiber gehen davon aus, dass das letzte Netzausbauprojekt Nr. 16 (Pilotprojekt Erdverkabelung, von 70 Kilometern erst 2024 ans Netz gehen wird. Erst dann wird auch beim Projekt Nr. 18 die Umstellung der 220kV-Stromkreise auf 380kV möglich sein. Seit der Verabschiedung des Gesetzes zum Netzausbau werden dann 15 Jahre vergangen sein.

Die schleppende Umsetzung der EnLAG-Projekte ist vor allem deshalb brisant, weil das Startnetz für den Bundesnetzplan die Realisierung aller EnLAG-Projekte voraussetzt.

Die Bundesfachplanung basiert also auf der Illusion der Realisierung der EnLAG-Projekte.

Vor diesem Hintergrund ist nun Altmaiers Wunsch nach einer Beschleunigung des Netzausbaus verständlich. Netzengpässe im Übertragungsnetz (220 und 380kV) führen zu Problemen bei der Einspeisung von erneuerbarer Energie und sind mit hohen Redispatchkosten verbunden, die den Strompreis für die Privathaushalte in die Höhe treiben und die Akzeptanz der Energiewende untergraben.

Der schleppende Netzausbau hat viele Gründe.

Entgegen ihren Verlautbarungen und dem öffentlichen Druck, den die Netzbetreiber geschickt aufzubauen verstanden und verstehen, haben sie es häufig mit der Umsetzung ihrer Forderungen in konkrete Planungsschritte und Baumaßnahmen nicht so eilig.

Oft führt auch die harte Haltung der Netzbetreiber bei Konflikten mit den Genehmigungsbehörden zu erheblichen Verzögerungen. Nicht in allen Bundesländern klappt die Zusammenarbeit zwischen dem jeweiligen Netzbetreiber und den Genehmigungsbehörden so geschmeidig wie in Brandenburg. Es gibt durchaus auch Behörden, die genauer prüfen, was ihnen da zur Genehmigung vorgelegt wird. Da werden in Niedersachsen schon auch mal die Gerichte bemüht, um rechtssicher zu klären, welche Unterlagen die Genehmigungsbehörde von den Antragstellern verlangen kann und welche Anforderungen sie an eine Planung, die zur Genehmigiug vorgelegt wird, stellen darf.

Angesichts der Vielzahl von Infrastrukturprojekten sind die Genehmigungsbehörden oft an der Grenze der Leistungsfähigkeit, da sie personell nicht immer gut ausgestattet sind.

Die Klagen von Anwohnern und Bürgerinitiativen sind hier eher von geringer Bedeutung. Nur wenige Klagen waren so erfolgreich wie die der Bürgerinitiative: Biosphäre unter Strom – keine Freileitung durchs Reservat und hier ist der Baustopp auch nicht der Bürgerinitiativeanzulasten, sondern einer rechtswidrigen Planung, für die letztlich der Vorhabenträger und eine allzu willfährige Genehmigungsbehörde verantwortlich sind. Hier ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sehr deutlich.

Altmaier: „Besser Konsens statt Krawall“

Minister Altmaier hatte am 30. November 2018 Vertreter der Bürgerinitiativen, die sich mit dem Netzausbau befassen zum Gespräch eingeladen und seine Strategie erklärt.

Als Saarländer kann er auf Konflikte zwischen Bürgerinitiativen sowie Bergbauunternehmen und Genehmigungsbehörde zurückblicken und weiß deshalb, dass das Engagement von Bürgerinitiativen nicht einfach als laienhaft abzutun ist. Sehr oft lagen die Bürgerinitiativen mit ihrer Kritik an Entscheidungen der Bergbauunternehmen und der Genehmigungsbehörde richtig. Das räumte er auch gerne mit Blick auf die Netzausbaukonflikten ein.

Altmaier erinnert sich auch noch an die Konflikte um die Kernenergie in den 80er Jahren, die häufig im „Krawall“ endeten. Er setzt deshalb auf „Konsens satt Krawall“ und sucht den Dialog. Die Veranstaltungsreihe „Bürgerdialog Stromnetz“, zu der das Bundeswirtschaftsministerium seit Amtstantritt Altmaiers einlädt ist ein Instrument, um ins Gespräch zu kommen.

Das Versprechen das Altmaier bei seinem Amtsantritt im März leichtfertig geben hatte, er werde in den kommenden Monaten alle umstrittenen Stromtrassenprojekte besuchen, konnte er bei der Vielzahl der umstrittenen Projekte nicht einhalten. Unserer Einladung (das Projekt von 50 Hertz, eine 380kV-Feileitung durch Eberswalde und das Biosphärenreservat Schorfheide – Chorin) zu besichtigen, hat er abgelehnt.

Trotz schleppenden Netzausbaus keine Neuplanung bei festgefahrenen Trassenkonflikten

Beim Gespräch mit den Bürgerinitiativen wurde der Grund deutlich. Es ist Altmaiers Dilemma:

Einerseits möchte er die durch festgefahrene Konflikte verursachten Blockaden im Netzausbau lösen und redet den Netzbetreibern, wenn sie mit fragwürdigen Kostenargumenten kommen ins Gewissen. Andererseits schließt er aber bei fortgeschrittenem Planungsstadium Umplanungen zur Lösung von Trassenkonflikten aus, da diese zu zeitaufwendig wären. Altmeier: „Kosten sind nicht das Argument, Zeit schon“

Damit trägt er aber eher zu einer Verfestigung der Konflikte bei und kann auch dem Vorwurf, er honoriere durch dieses Verhalten die Netzbetreiber, die sich in der Vergangenheit in den Konflikten durch eine besonders harte und kompromisslose Haltung hervorgetan hätten, nichts entgegnen.

Kurz, ein Beitrag des Bundeswirtschaftsministers zur Lösung des Konflikts um die 380kV-Freileitung durch Eberswalde und das Biosphärenreservat ist nicht zu erwarten.

Die BI setzt deshalb eher auf die Petition, die sie Ende Oktober beim Bundestag eingereicht hat, in der eine Erleichterung der teilweisen Erdverkabelung bei der Querung von Wohn- und Schutzgebieten in Zuge einer Anpassung des EnLAG gefordert wird. Diese Petition wird von den Städten Eberswalde und Angermünde und den Ämtern Joachimsthal und Britz-Chorin-Oderberg mitgetragen und wurde auch von Kirsten Tackmann (MdB, Linke ) und Axel Vogel (MdL, Grüne) zusammen mit vielen Bürgern, darunter auch Gemeindevertreter aus Chorin unterzeichnet.

Sollte unsere Petition Erfolg haben, dann kann sich 50 Hertz einer Erdkabellösung nicht länger verschließen. Die Abgeordneten des Bundestags haben die Chance, den Fehler einer leichtfertigen Gesetzgebung zu korrigieren. Leichtfertig war die Festlegung des Leitungsbauvorhabens 380kV-Freileitung Bertikow-Neuenhagen als EnLAG-Projekt Nr. 3, denn damals war das Ergebnis des Raumordnungsverfahren schon bekannt, dass die vom Netzbetreiber angestrebte Trasse „nur bedingt genehmigungsfähig“ ist. Der Gesetzgeber machte daraus unbesehen „beschleunigt auszubauen„, eine Festlegung, die sich als äußerst problematisch erwiesen hat, weil die ins Auge gefaßte Trasse weder umwelt- noch sozialverträglich ist.

In mehreren Resoltionen haben die betroffenen Städte, Ämter und Gemeinden gemeinsam mit den Umweltverbänden und der Bürgerinitiative „Biosphäre unter Strom – keine Freileitung durchs Reservat!“ darauf hingewiesen.

Der Beitrag erschien zuerst in der Barnimer Bürgerpost

Nicht über unsere Köpfe!

Keine 380kV-Freileitung durch Schutz- und Wohngebiete

7.12.2018

Hartmut Lindner